Prousts Betten

Theoretische und poetologische Aspekte der Literatur
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Nauplios
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ROKOKO-SESSEL "Proust", überzogen mit einem Raster aus
bunten Farbklecksen, wie eine zweite Schicht über Polster,
Beine und Schnitzerei gelegt.


(aus: SCHÖNER WOHNEN)

Marthe Dubois-Amiot hatte es eilig, nach dem Tod ihres Mannes, Robert Proust, die geerbten Hinterlassenschaften zu Geld zu machen. Darunter befand sich auch das Messing-Bett ihres Schwagers Marcel Proust, nebst Schreibtisch, Bücherschrank, Briefen, Photos und einigem "Papierkram". Wir verdanken es dem Zufall, daß 1935 ein Parfumfabrikant und Liebhaber der Literatur, Jacques Guerin, in einer kleinen Buchhandlung in der Rue du Faubourg Saint Honore die Habseligkeiten Prousts erstand. - Das Drama um den Gute-Nacht-Kuß von Maman, das Zimmer im Grand-Hotel von Balbec, der neblige Herbsttag (Guermantes), den Marcel im Bett verbringt ... das Bett ist gleichsam eine Heterotopie en miniature, ein Gegenort, der Sehnsüchte und Ängste fixiert, Imaginationen und Träumereien anregt, ein Phantasiereservoir für die Grenzgebiete zwischen Fiktion und Wirklichkeit. -

Ein "schaukelndes Stück Raum" hat Rainer Warning die Foucault´schen Heterotopien genannt. Foucault selbst hat bekanntlich an ein Schiff gedacht als Paradigma für seine "anderen Räume". Darin ereignet sich das, was Roland Barthes Epiphanie genannt hat, "Augenblick der Wahrheit". - Für den chronisch Bettlägerigen sind Schlafen, Träumen, Dämmern, Erwachen Einstiegsszenarien in die untergegangenen Welten seiner Kindheit und jungen Jahre, die im Roman wiederauferstehen. Gilberte, Albertine, Odette, die Herzogin von Guermantes ... das Nachleben der Liebe. -




Nauplios
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Jörn Budesheim
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Was ist das Thema dieses Threads?




Nauplios
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Das Thema dieses Threads sind Formen und Interpretationen der Heterotopien in Prousts Recherche.

Textgrundlagen:

Michel Foucault: Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge

Michail Bachtin: Formen der Zeit im Roman. Untersuchungen zur historischen Poetik

Rainer Warning: Marcel Proust

Roland Barthes: Die Vorbereitung des Romans

Roland Barthes: Die helle Kammer

Gilles Deleuze: Proust und die Zeichen

Hans Robert Jauß: Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts 'A la recherche du temps perdu'

Das von Foucault entwickelte Raum-Konzept der Heterotopie als "Gegenort" für das Alltagsverständnis von Lebensraum soll für eine Proust-Lektüre fruchtbar gemacht werden. Heterotopien sind für Foucault Räume, die als "Relationsbündel" die Funktionen des Lebensraums "suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren" (Foucault). Foucault hat solche Relationsbündel etwa am Beispiel des Kinos, des Bordells, der Bibliothek, des Friedhofs, des Museums, der Kammer u.a. Lebensräume untersucht. - Dieser Thread soll u.a. der Frage nachgehen, ob das "drame du coucher" von Combray, welches sich in der Mikro-Heterotopie des Bettes vollzieht, in dem Marcel (der nicht mit dem Autor Marcel Proust identisch sein muß) auf den Gute-Nacht-Kuß von Maman wartet und das zum Ort fiebriger Imaginationen und Erwartungen wird, sich in Heterotopien wie dem Schlafzimmer (Combray), dem Hotelzimmer (Balbec), der Kammer beim ersten Bordellbesuch Marcels, dem Ankleidezimmer Odettes (Eine Liebe von Swann), den Salons der Verdurins und der Guermantes, dem Seitenschiff von Saint Hilaire, im Theater (vgl. die Berma-Episode) usw. und in den Metamorphosen der Sehnsüchte und des Begehrens vollzieht und je nach der Referenz des Raumes wandelt. -

Ein Instrument literaturwissenschaftlicher Beobachtung kann dabei Bachtins Versuch der Verschmelzung von Raum und Zeit zum "Chronotopos" sein. Bachtin untersucht die Chronotopoi der Treppe, des Vorzimmers, des Korridors und ihrer Raum-Zeit-Verschränkung. Die Anverwandlung von Chronotopoi und Heterotopoi hat aus dem Umkreis von Poetik und Hermeneutik Rainer Warning in seiner Proust-Studie versucht. Die für die deutsche Proustrezeption lange Zeit bestimmende Interpretation von Jauß berücksichtigt Warning zufolge die Brüche und Kontinuen des Raums in der Recherche zu wenig. - Es sind vor allem die Reflektionen von Barthes und Deleuze, welche aus semiologischer Sicht den Raum als Ineinander von "Differenz und Wiederholung" (Deleuze) in der Recherche herausarbeiten.

Im Unterschied zum fiktiven Raum ist der Lebensraum des Autors Marcel Proust heute durchgehend dokumentiert (s. das Haus der "Tante Leonie" im Video). Teil dieser Dokumentation sind insbesondere die Fotos von Nadar - über Proust hinausgehend. Nadar hat in seinem Fotostudio am Boulevard des Capucines Portraits von Nerval, Baudelaire, Balzac und auch Sarah Bernhardt ("die Berma") erstellt, welche die Welt des Fin du siecle auf einzigartige Weise zur Anschauung bringen (vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer) -

Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.

Sollte die Administration des Forums Anstoß am Titel dieses Threads nehmen, kann er geändert werden. Das gilt auch für den Ort des Threads; sofern er dem Anforderungsprofil des Forums an Literaturwissenschaft im Forum nicht genügt. Ich denke da an den Gästebereich, in dem anonym zu schreiben ich nicht als Affront auffassen würde. Eine weitere Möglichkeit wäre die Ausgliederung des Themas auf meine Website, für die ich offen bin. Eine kurze Mitteilung der Administration wäre dafür ausreichend. -

Daß dem Leser von Texten Zusammenhänge als "bekannt" zugetraut werden, ist mitnichten eine Respektlosigkeit. Es zieht ihn im Gegenteil als vertraut mit solchen Zusammenhängen in den Verstehensvorgang mit ein. Respektlos ist es, ihm dieses Vertrautsein von vornherein abzusprechen. -




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NaWennDuMeinst
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Mo 17. Aug 2020, 23:08

Nauplios hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 11:24
Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.
Öhm. Doch?



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Tread softly because you tread on my dreams.
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Nauplios
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Di 18. Aug 2020, 03:23

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 23:08
Nauplios hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 11:24
Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.
Öhm. Doch?
Doch? - Doch könnten sie sich im Hinblick auf Nutzen und Nachteil von Textkenntnissen für das Leben als vorteilhaft erweisen. :)

Textkenntnisse in einem Umfang, der das oben skizzierte Thema der Strenge der Wissenschaft gemäß würdigte, habe ich auch nicht. Ich hoffe, sie mir im Verlauf des Threads in jener Dosierung aneignen zu können, die ausreichend Ernsthaftigkeit erkennen läßt, um Nachsicht beim Urteil über das Spielerische, das solchen Versuchen anhaftet, zu ermöglichen. Dazu ein paar allgemeine Anmerkungen.

In der Negativen Dialektik schreibt Adorno einmal von der Philosophie: "An ihr ist das Moment des Spiels." - Nach meiner Erinnerung findet sich Ähnliches auch bei Gadamer. Das heißt natürlich nicht, daß man Philosophie nicht ernsthaft betreiben sollte. Seit Sokrates weiß man, daß die Philosophie sogar mit tödlichem Ernst verbunden sein kann. Dennoch gibt es das Spielerische auch bei Sokrates. Das Symposion ist ja nichts anderes als ein "Trinkgelage", bei dem Reden auf den Eros gehalten werden. Es geht feucht-fröhlich zu und der Wein tut seine Wirkung. Eryximachos möchte hören, wie es bei Agathon "mit dem Trinken bestellt ist". Man einigt sich, "das gegenwärtige Gelage nicht bis zur Trunkenheit zu steigern, sondern nur so nach Behagen zu trinken." Philosophie und Eros, die Rede der Diotima, nach "Behagen" zu trinken ... und dann ist da noch diese Flötenspielerin! - Also strenge Wissenschaft geht anders. ;)

Das Moment des Spiels - es klingt dabei etwas an, was Musil den "Essayismus" genannt hat. Das hat etwas mehr Gravität und Würde als "Trinkgelage", verweigert sich jedoch der Vorstellung, alles nur erdenklich Philosophische sei nur ernst zu nehmen, wenn es sich systematisieren läßt, wenn es als Material zum Bau eines Gedankengebäudes taugt. Essay wird seit Montaigne im Deutschen gern mit "Versuch" übersetzt. Versuche führen nie die Endgültigkeit des Gelingens mit. Sie erheben das Unfertige, das Vorläufige zum Programm. Essays zu schreiben, bedeutet nicht, sich der völligen Beliebigkeit zu überantworten. Essays zu schreiben ist eine hohen Ansprüchen genügende Kunst. Mögliche Beiträge meinerseits über "Prousts Betten" erfüllen die Standards von Essays bei weitem nicht. Sie sind dennoch Versuche. Und in ihren Unzulänglichkeiten sind sie Zumutungen - nicht nur im Sinne von Irritation und Ratlosigkeit, Widerspruch erzeugend, auch im Sinne von Mut zusprechend.

Es fällt mir nicht schwer, die Frage nach dem Thema dieses Threads mit einem kleinen Expose zu beantworten. Doch lieber ent-falte ich einen Gedanken als ihn in das Prokrustesbett irgendeiner Systematik zu zwängen. Das Entfalten hat im Thread "Dolce Stil Novo" dazu geführt, daß ich 29 Beiträge hintereinander gepostet habe, bevor die erste "Antwort" eintraf. Die Abstinenz von Antworten ist nicht beabsichtigt. Sie verschafft mir Freiräume. So kommen Soliloquien zustande, in denen die Beiträge zu einer sich selbst anregenden kritischen Masse werden. Spielerisch wandern Versatzstücke, Staffagen, Figurationen, Begriffsgeschichten mäandernd durch die Versuche, Gelesenes zum Sprechen zu bringen, es vielleicht auch mal gegen den Strich zu lesen. Formulierungslust und Fabulierungslust kommen hinzu. "Seinesgleichen geschieht." Etablierte Trennungen wie die von Philosophie und Literatur verlieren sich. Das Denken wird barrierefrei. - Nein, ich verzichte auf die Anwesenheit einer Flötenspielerin. ;)

Ich möchte auch die volle Bandbreite an Medien nutzen, die mir die Welt zur Verfügung stellt. Die Fotos Nadars von der mondänen Pariser Gesellschaft, der Welt der Guermantes, den alten Boulevards mit ihren Droschken und Fuhrwerken des fin du siecle gehören genauso in diesen Thread wie Musik Faures oder Debussys. Chronotopos - das heißt aber auch, daß die Verschränkungen von Zeit und Ort, die sich bei Proust finden, hier einen Reflex finden können; ich denke an das französische Chanson, an "Je ne regrette rien", an "La Mer", an Charles Trenet, an Jacques Brel ... an die Freudenhäuser, die Kirchen ... und man sieht schon, daß sich hier sehr Entlegenes zusammenführen läßt. Nach und nach entsteht eine Welt, die untergegangene Welt der Belle Epoque, die das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts umfaßt und dann in der europäischen Katastrophe von 1914 endet.

Natürlich kann ich so etwas hier nicht vollumfänglich entwerfen. Es sind nur kleine und kleinste Momente, ein Abendessen im Salon von Madame Verdurin, eine Kutschfahrt am Strand von Balbec, das Richten der Cattleya-Blüten am Ausschnitt von Odette, die erste Begegnung mit Albertine, die Schar der jungen Mädchen in Balbec, der Duft der Weißdornhecke, Marcels Bordellbesuch, der Tod der Großmutter, Gilberte und die Leidenschaft der ersten Liebe, die Champs-Elysees, der Bois du Boulogne mit den Kindermädchen ...

Und wie geht die Literaturwissenschaft mit all dem um? Was sieht ein Roland Barthes in der Recherche, das mir verschlossen bleibt? Was entdeckt er den hellen Kammern der Photographie?

Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf? - Und an dieser Stelle endet meine Exposition. Denn das ist am Ende die Frage danach, ob man ein solches Denken aus Freilandhaltung zulassen will. Wieviel Anarchie ist gestattet? - Oder stellt man sich in den Dienst von philosophischen Rigorismen. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann sie nur zurückspielen an die Verantwortlichen des Forums. -




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NaWennDuMeinst
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Di 18. Aug 2020, 09:05

Nauplios hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 03:23
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 23:08
Nauplios hat geschrieben :
Mo 17. Aug 2020, 11:24
Textkenntnisse der genannten Literatur sind nicht erforderlich.
Öhm. Doch?
Doch? - Doch könnten sie sich im Hinblick auf Nutzen und Nachteil von Textkenntnissen für das Leben als vorteilhaft erweisen. :)

Textkenntnisse in einem Umfang, der das oben skizzierte Thema der Strenge der Wissenschaft gemäß würdigte, habe ich auch nicht.
Die Strenge der Wissenschaft ist mir hier erstmal herzlich egal. Ich wäre schon froh wenn ich wenigstens im Ansatz verstehen würde wovon Du da redest.
Und dazu sind - glaube es oder nicht - Textkenntnisse nötig. In fast jedem Satz beziehst Du Dich auf Texte. Du stellst Analogien her, die man gar nicht verstehen kann, wenn man die Texte nicht kennt auf die sie zeigen.
Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf?
Von meiner Seite her sind diese Fragen kein "Ordnungsruf", sondern es sind Verständnisfragen. Auch wenn Du aus Respekt annimmst, dass Deinem Gegenüber alles bekannt ist - bei mir ist das nicht der Fall.
Ist Dir schon mal der Gedanke gekommen, dass Antworten auch deshalb ausbleiben könnten, weil niemand sich als "unwissend" und "dusselig" outen will?
Ich würde mich schon gerne beteiligen. Aber bei Vielem von dem was Du schreibst habe ich einfach nichts Wertvolles beizutragen. Leider.



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Friederike
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Di 18. Aug 2020, 10:12

Dein erfrischend direkter Einwurf* @NWDM und Deine Ausführungen @Nauplios, ermutigen mich zum kurzen Kommentieren. (NWDM, spontan kommen mir immer nur diese beiden Adjektive in den Sinn zur Charakterisierung dessen, wie ich Deine Art und Deine Schreibweise empfinde. Entschuldige also bitte die neuerliche Wiederholung).
Nauplios hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 03:23
[...] Essays zu schreiben, bedeutet nicht, sich der völligen Beliebigkeit zu überantworten. Essays zu schreiben ist eine hohen Ansprüchen genügende Kunst. Mögliche Beiträge meinerseits über "Prousts Betten" erfüllen die Standards von Essays bei weitem nicht. Sie sind dennoch Versuche. Und in ihren Unzulänglichkeiten sind sie Zumutungen - nicht nur im Sinne von Irritation und Ratlosigkeit, Widerspruch erzeugend, auch im Sinne von Mut zusprechend.
o.k. :lol: Das nehme ich mir zu Herzen und werde zukünftig nicht mich mit meinem Unverständnis und meiner Ratlosigkeit für eine Zumutung ansehen, was einer der Gründe ist, der mich öfter von verschriftlichten Reaktionen abgehalten hat.
Nauplios hat geschrieben : Es fällt mir nicht schwer, die Frage nach dem Thema dieses Threads mit einem kleinen Expose zu beantworten. Doch lieber ent-falte ich einen Gedanken als ihn in das Prokrustesbett irgendeiner Systematik zu zwängen. Das Entfalten hat im Thread "Dolce Stil Novo" dazu geführt, daß ich 29 Beiträge hintereinander gepostet habe, bevor die erste "Antwort" eintraf. Die Abstinenz von Antworten ist nicht beabsichtigt. Sie verschafft mir Freiräume. So kommen Soliloquien zustande, in denen die Beiträge zu einer sich selbst anregenden kritischen Masse werden. Spielerisch wandern Versatzstücke, Staffagen, Figurationen, Begriffsgeschichten mäandernd durch die Versuche, Gelesenes zum Sprechen zu bringen, es vielleicht auch mal gegen den Strich zu lesen. Formulierungslust und Fabulierungslust kommen hinzu. "Seinesgleichen geschieht." Etablierte Trennungen wie die von Philosophie und Literatur verlieren sich. Das Denken wird barrierefrei. - Nein, ich verzichte auf die Anwesenheit einer Flötenspielerin. ;)
Mir wird an dieser Stelle bewußt, daß die Fertigkeit (in doppelter Bedeutung: als Sprach- und Schreibvermögen sowie als Abgeschlossenheit von gedanklichen Komplexen) Deiner Formulierungen mir die Unfertigkeit des jeweils Thematisierten verdeckt hat ... nein, ich habe sie mir verdecken lassen. Selbst das unverschleiert Fragmentarische schien mir zu einem Ganzen abgerundet und insofern untangibel. Dies der zweite Grund zu schweigen und nunja, Dich in der Einsiedelei der Studierstube (dieses Bild taucht in mir auf) eben nicht zu stören.
Nauplios hat geschrieben : Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf? - Und an dieser Stelle endet meine Exposition. Denn das ist am Ende die Frage danach, ob man ein solches Denken aus Freilandhaltung zulassen will. Wieviel Anarchie ist gestattet? - Oder stellt man sich in den Dienst von philosophischen Rigorismen. Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich kann sie nur zurückspielen an die Verantwortlichen des Forums. -
Ich spreche selbstverständlich nur für mich, als eines von 3 Teammitgliedern, und ich möchte Deiner Kontrastierung auch nicht ohne Weiteres folgen (Stirnrunzeln und ein Unentschiedenes "ich weiß nicht recht, ob Deine Formulierung es trifft"), aber soviel will ich Dir schon zurückmelden -obwohl ich gedacht habe, es sei sowieso kein Geheimnis- daß ich Deine Anwesenheit und Deine Beiträge schätze und mich an beidem erfreue.


*Das bezieht sich eigentlich auf Deinen knappen Einwurf von gestern. Hm, Deinen heutigen würde ich allerdings nicht ausnehmen. :lol:




Nauplios
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Mi 19. Aug 2020, 02:05

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Di 18. Aug 2020, 09:05

Die Strenge der Wissenschaft ist mir hier erstmal herzlich egal. Ich wäre schon froh wenn ich wenigstens im Ansatz verstehen würde wovon Du da redest.
Und dazu sind - glaube es oder nicht - Textkenntnisse nötig. In fast jedem Satz beziehst Du Dich auf Texte. Du stellst Analogien her, die man gar nicht verstehen kann, wenn man die Texte nicht kennt auf die sie zeigen.
Was ist das Thema dieses Threads? - Die Frage ist berechtigt und ich kann sie nur in ihrer Vorläufigkeit beantworten. Doch ist die Frage nicht auch ein Ordnungsruf?
Von meiner Seite her sind diese Fragen kein "Ordnungsruf", sondern es sind Verständnisfragen. Auch wenn Du aus Respekt annimmst, dass Deinem Gegenüber alles bekannt ist - bei mir ist das nicht der Fall.
Ist Dir schon mal der Gedanke gekommen, dass Antworten auch deshalb ausbleiben könnten, weil niemand sich als "unwissend" und "dusselig" outen will?
Ich würde mich schon gerne beteiligen. Aber bei Vielem von dem was Du schreibst habe ich einfach nichts Wertvolles beizutragen. Leider.
Ich fange mal hinten an:

- "nichts Wertvolles beizutragen": Den Wert eines Beitrages nach dem Kenntnisstand gelesener Literatur und den Bezugnahmen darauf zu bemessen, hat meistens die Etablierung einer Priesterschaft zur Folge. Ausgestattet mit den Weihen höherer Einsichten führen die Hohenpriester und Schriftgelehrten dann Prestigekämpfe um Deutungshoheiten, derweil die "Uneingeweihten" Zuschauer, Publikum, Zaungäste bleiben. Mir sind solche Konstellationen aus den ideologischen Kulturkämpfen der 68er Zeit noch in Erinnerung. Es war in der ersten Hälfte der 70er Jahre. Wir - Studenten aus Bielefeld, Münster und Marburg - trafen uns quartalsmäßig an einem Wochende zu einer Klausur in Amöneburg, einem kleinen ruhigen Städtchen auf einem Hügel gelegen. Dort wurde dann gelesen und diskutiert. Während die Habermas-Anhänger die Revolution der westdeutschen Gesellschaft vorbereitete, versuchten sich die Luhmann-Anhänger in Systemtheorie. Ich muß zugeben, daß solche Treffen einem Trinkgelage schon recht nahe kamen, allerdings ohne den philosophischen Ertrag, der sich bei Platon damit verbindet. Und: es gab auch eine Flötenspielerin. Beim ersten Treffen. Danach gab sie sich als "verhindert" aus. Außerdem habe sie für die obligatorische Nachtwanderung rund um die Amöneburg kein geeignetes Schuhwerk. Das leuchtete insofern ein, als dieser Nachtwanderung ein halsbrecherischer Abstieg, unterstützt vom Licht der Taschenlampen, vorausging. Eine Straße hätte es auch gegeben, doch war der Weg durchs unwegsame Gelände wohl auch ein Test für den Fall, daß der revolutionäre Umsturz der Gesellschaft mutiges und energisches Voranschreiten erforderte. - Jedenfalls gingen die Debatten nachtwandlerisch weiter. Nach drei Tagen machte ein allgemeiner Erschöpfungszustand der Klausur ein Ende. Man vertagte sich. Bei diesen Zusammenkünften gab es die Wortführer, die theoretisch versiert waren und die "Zuhörer", die sich einen Reim auf das Gehörte machen sollten. - Für ein Forum im Jahre 2020 kann all das kein Modell sein. Der Wert von Beiträgen kann sich besser nach der Authentizität des Geschriebenen bemessen, auch nach der Neugier, die darin zum Ausdruck kommt, vielleicht auch nach der Anschlußfähigkeit. - In einem Forum kommen Menschen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Erwartungen zusammen. Sie sind mit philosophischen Fragestellungen auch unterschiedlich vertraut. Auch verstehen sie unter "Philosophie" Unterschiedliches. Deswegen bleibt die Frage "Was ist Philosophie?" eine genuin philosophische Frage. Man kann sie nicht beantworten, ohne bereits die Mittel der Philosophie bemüht zu haben.

Von den glorreichen Sieben der Amöneburg-Konferenzen ist noch ein Trio - manchmal ein Quartett - übriggeblieben. Aus den Quartals-Intervallen sind bestenfalls jährliche Treffen geworden. Schauplatz dieser Treffen ist ein Restaurant in Bielefeld. Auf die Nachtwanderung verzichten wir. -

- "ausbleibende Antworten, um sich nicht unwissend zu outen": Hm, es gibt darauf zwei Möglichkeiten, zu antworten: ehrlich oder höflich. Versuch einer Kombination: Sollte man nicht bei allem Verständnis für die Risikoscheu vor einem möglichen unvorteilhaften Outing dennoch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sich Trägheit und Gleichmut darauf verstehen, als Selbstschutz zu camouflieren? - Die meisten Mitglieder des Forums "kenne" ich seit mehr als zehn Jahren. Und sie "kennen" mich. So viel kann man wissen, daß ich keine Verhöre durchführe. Widerspruch wird widersprochen, danach möglichst beigelegt. Nach wochenlangen DISPUTEN steht mir nicht der Sinn. Viel zu outen gibt´s da auf beiden Seiten nicht mehr. Zugegeben, das ist jetzt zwischen uns, NWDM, anders.

"Ordnungsruf" - ja, da stimme ich Dir zu. Das ist von Dir sicher nicht so gemeint. Ich komme in meiner Antwort auf Jörn noch darauf zurück. -

"Textkenntnisse nötig" - Ja, auch hier stimme ich Dir zu, gebe allerdings zu bedenken, daß ich im Verlauf eines Threads auch Texte zitiere, Gedanken referiere. Es mag wohl sein, daß die Annahme unrealistisch ist, alle hätte Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" gelesen; aber was ist daraus für eine Konsequenz zu ziehen? - Verzichten, Proust zum Thema zu machen? - Was haben ALLE gelesen? - Ich habe DIALOGOS immer so verstanden, daß man Ansprüche verfolgt, die in den großen Philosophie-Foren meist untergehen. Dann muß man auf Randständiges (Warburg etwa), das nicht ganz so zentral liegt, auch gefaßt sein. Daß wir im Juli hier eine Blumenberg-Diskussion hatten - befördert durch den 100. Geburtstag des Philosophen - steht doch einem Forum wie DIALOGOS gut zu Gesichte. Sollte man meinen.

"Strenge der Wissenschaft" - Versteht man die Strenge als eine solche der Methode, halte ich die Philosophie für keine strenge Wissenschaft. Die Strenge der Philosophie kann aber in einer "Logik der Phantasie" liegen anstatt in der Logik von methodisch erprobten Schlußverfahren. Die Strenge ist nicht per se abzulehnen, ebenso wenig die Logik. Prousts Roman besteht in manchen Abschnitten aus philosophischen Essays. Ist das dann noch Literatur? Ist es schon Philosophie? - Das ist manchmal kaum zu entscheiden. "Philosophie als strenge Wissenschaft" (Husserl) - darüber ist ja nicht leichtfertig hinwegzugehen. Hier wäre im einzelnen zu klären, was die Strenge der Philosophie als Wissenschaft dann ausmacht. -




Nauplios
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Mi 19. Aug 2020, 04:19

"Das nehme ich mir zu Herzen und werde zukünftig nicht mich mit meinem Unverständnis und meiner Ratlosigkeit für eine Zumutung ansehen, was einer der Gründe ist, der mich öfter von verschriftlichten Reaktionen abgehalten hat." (Friederike)

Seit Minuten lese ich immer wieder diesen Satz, Friederike, und es will mit der Verschriftlichung meiner Reaktion nicht so recht vorangehen. ;) Da ist diese Empfindsamkeit, daß Du Dir etwas zu Herzen nimmst - und dann auch noch etwas von mir. "Wo sich Herz zum Herzen find´t" heißt es bei Frau Jenny Treibel. Vielleicht ist dieser Weg der einzige, der kein Umweg ist. ;) Jedenfalls freu´ ich mich immer, von Dir verschriftlichte Reaktionen zu lesen. :)

"Mir wird an dieser Stelle bewußt, daß die Fertigkeit (in doppelter Bedeutung: als Sprach- und Schreibvermögen sowie als Abgeschlossenheit von gedanklichen Komplexen) Deiner Formulierungen mir die Unfertigkeit des jeweils Thematisierten verdeckt hat ... nein, ich habe sie mir verdecken lassen. Selbst das unverschleiert Fragmentarische schien mir zu einem Ganzen abgerundet und insofern untangibel. Dies der zweite Grund zu schweigen und nunja, Dich in der Einsiedelei der Studierstube (dieses Bild taucht in mir auf) eben nicht zu stören." (Friederike)

Die "Einsiedelei der Studierstube" - es gibt zwar diese Studierstube in meinem Avatar tatsächlich unter dem Dach (wo es gerade noch sehr heiß ist), und das Photo zeigt auch mich. Es ist aber ein "gestelltes" Photo, das auch etwas Spielerisches hat, denn ich nehme darauf eine Pose ein. Ich spiele dort jemanden, der ich nicht bin, erziele eine Wirkung, die in mir keine Ursache hat. Wenn Kinder spielen, verkleiden sie sich oft. Solche Verkleidungen und Verschleierungen gehören auch für mich zum spielerischen Umgang mit Texten. Es erscheint dann "untangibel", weil sie als Illusion (das "abgerundete Ganze") daherkommen. Früher hatten Illusionisten Assistentinnen, die ihnen das Zauberbesteck anreichten oder sich auf der Bühne zersägen ließen. Heute tritt man als Paar auf. Es wäre doch schön, wenn wir "unverschleiert Fragmentarisches" gemeinsam erstehen ließen, ein philosophisches pas de deux, eine Aufforderung zum Tanz! - Darf ich bitten?





Nauplios
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Sa 22. Aug 2020, 03:55

Die "petite phrase de Vinteuil" verkörpert Swanns Liebe zu Odette. Bis heute rätselt die Proust-Forschung über das reale Vorbild für die fiktive Sonate für Klavier und Violine. Proust selbst gibt in einem Brief den Hinweis auf die Violinsonate in A-dur von Cesar Franck. Es könnte sich auch um eine Komposition von Guillaume Lekeu handeln; sogar Brahms' zweite Violinsonate op. 100 wird vorgeschlagen. Letztlich bleibt aber die Sonate von Vinteuil ein Produkt der Einbildungskraft. - Für den Film Le temps retrouve von Raoul Ruiz (1998) mit Cathrine Deneuve als Odette und Marcello Mazzarella als Proust komponierte der Chilene Jorge Arriagada die Musik und auch die berühmte "Sonate von Vinteuil":





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Jörn Budesheim
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Sa 22. Aug 2020, 12:22

Ich habe mal nach dem Begriff "Heterotopie" gegoogelt und die Kernaussagen von zwei Quellen zusammengefasst:

Foucault spricht demnach nicht nur von Heterotopien, er spricht ebenso von "Anderen Räumen" bzw. "Gegenwelten". Beides scheint mir einfach eine Übersetzung des fraglichen Begriffes zu sein. "Hetro" heißt ungefähr so viel wie "anders". Und ein "Topos" ist sowohl ein "Ort" als auch ein "Muster" bzw eine "Ordnung".

Foucaults Beispiele für Heterotopien sind Erholungsheime, psychiatrische Kliniken, Gefängnisse, Altersheime, Friedhöfe, Museen, Bibliotheken, Kolonien etc. Heterotopien sind dementsprechend oft abgegrenzte Orte bzw Ordnungen innerhalb von Gesellschaften.

Wenn es Gegenwelten sind, dann fragt sich natürlich: Gegenwelten zu was? Gemäß Foucault sind es Gegenwelten zu den Machtstrukturen der gesellschaftlichen Realität.

Solche Orte sind in der Regel selbst einer klaren Ordnung unterworfen. Sie können Foucault entsprechend sowohl ein verkleinertes Abbild aber auch ein Gegenbild der Gesamtgesellschaft sein. Foucault nahm also an, dass diese Gegenwelten in besonderer Weise gesellschaftliche Verhältnisse reflektieren, indem sie diese repräsentieren, negieren oder umkehren.

https://lexikon.stangl.eu/24938/heterotopie/
https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.p ... et&id=6620




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Jörn Budesheim
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Sa 22. Aug 2020, 13:19

In diesem kurzen Text Fragment tauchen einige der Stichworte auf, die zuvor (zumindest nach meiner Erinnerung) gefallen sind: Proust, Drama meines Zubettgehens, Combray, Madeleine ...
Madeleine-Episode Aus: Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; 10 Bde. Frankfurt am Main 1979, Bd. 1, S. 63–67. hat geschrieben : Viele Jahre lang hatte von Combray außer dem, was der Schauplatz und das Drama meines Zubettgehens war, nichts für mich existiert, als meine Mutter an einem Wintertage, an dem ich durchfroren nach Hause kam, mir vorschlug, ich solle entgegen meiner Gewohnheit eine Tasse Tee zu mir nehmen. Ich lehnte erst ab, besann mich dann aber, ich weiß nicht warum, eines anderen. Sie ließ darauf eines jener dicken ovalen Sandtörtchen holen, die man 'Madeleine' nennt und die aussehen, als habe man als Form dafür die gefächerte Schale einer St.-Jakobs-Muschel benutzt. Gleich darauf führte ich, bedrückt durch den trüben Tag und die Aussicht auf den traurigen folgenden, einen Löffel Tee mit dem aufgeweichten kleinen Stück Madeleine darin an die Lippen. In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt.

[...]


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http://www.peter-matussek.de/leh/s_18_m ... elaine.pdf




Nauplios
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Sa 22. Aug 2020, 14:28

Der Begriff Heterotopie bezeichnet in der Medizin die Lage von Gewebe oder Organen an einer ungewohnten Stelle. In der Neuroanatomie bzw. Neurologie meint Heterotopie, daß die graue Substanz – meist durch Migrationsstörungen bei der Entwicklung – am falschen Ort liegt. Man unterscheidet die laminäre (girlandenförmige) Heterotopie (graue Streifen, die meist asymmetrisch in den beiden Großhirnhemnisphären liegen) und die nodunäre Heterotopie (graue Knoten im Großhirnmark oder in der weißen Substanz des Kleinhirns).

Faucault hat den medizinischen Fachterminus Heterotopie in seine Philosophie übernommen und ihn u.a. für seine Machttheorie nutzbar gemacht. Wie ich bereits schrieb, sind Heterotopien für Foucault "Räume, die als 'Relationsbündel' die Funktionen des Lebensraums 'suspendieren, neutralisieren oder in ihr Gegenteil verkehren' (Foucault). Foucault hat solche Relationsbündel etwa am Beispiel des Kinos, des Bordells, der Bibliothek, des Friedhofs, des Museums, der Kammer u.a. Lebensräume untersucht." (Nauplios am 17. August) - Ein solch "anderer Raum" ist auch das Pflegeheim. -

Die Literaturwissenschaft, hat dann als dritte Instanz - nach Medizin und Foucault - den "Foucault'schen" Begriff der Heterotopie als Analysekategorie für die literarische Rede vom Raum und der narrativen Konstruktion fiktiver Räume entdeckt. Ein Beispiel für die Nutzung von Heterotopie als eine literaturwissenschaftliche Analysekategorie ist die Untersuchung von Rainer Warning über Marcel Proust.

Damit gibt es also drei Gegenstandsbereiche, die mit dem Begriff "Heterotopie" angesprochen werden können:

1. Gewebe und Organe, die an "anderen Orten" im Körper vorkommen.

2. Heterotopien im Sinne Foucaults wie etwa das Pflegeheim, in dem es zwar auch Betten gibt, aber nicht als literarisch fiktive Betten.

3. Heterotopie als heuristische Analysekategorie in Erzähltexten wie etwa bei Proust.

Wir können uns demnach über Möglichkeiten operativer Entfernung heterotopischen Gewebes unterhalten oder im Rahmen der Foucault'schen Biopolitik über den Pflegenotstand in Deutschland oder über Interpretationsformen "anderer Orte" in Prousts Romanwerk. - Das dritte war ursprünglich meine Intention. Vielleicht lassen sich die Beiträge zu den allgemeinen Fragen nach der Philosophie und dem Zustand der Gesellschaft und seiner Verbesserung bei Gelegenheit auslagern in einen eigenen Thread (meine eigenen Beiträge dazu eingeschlossen). -




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NaWennDuMeinst
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Sa 22. Aug 2020, 15:16

Nauplios hat geschrieben :
Sa 22. Aug 2020, 14:28
Wir können uns demnach über Möglichkeiten operativer Entfernung heterotopischen Gewebes unterhalten oder im Rahmen der Foucault'schen Biopolitik über den Pflegenotstand in Deutschland oder über Interpretationsformen "anderer Orte" in Prousts Romanwerk. - Das dritte war ursprünglich meine Intention.
Achso!
Nun, von dem Dritten verstehe ich nur Bahnhof (und von chirurgischen Eingriffen verstehe ich auch nicht wirklich viel). Ich beteilige mich deshalb an dem Thema nicht aktiv (würde ja eh nur Unsinn bei rauskommen).



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Tread softly because you tread on my dreams.
(William Butler Yeats)

Nauplios
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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 22. Aug 2020, 15:16

Achso!
Auch wenn eine ambitionierte Möbelkollektion den Sessel "Proust" in ihrem Programm führt, so kann der Hinweis darauf in einer mit "Literaturwissenschaft" bezeichneten Rubrik ja nur eine ironische Brechung sein. Und so war sie auch gemeint. Und so ist es offensichtlich auch verstanden worden. - Ich will auch nicht in Abrede stellen, daß es für die Menschheit Themen gibt, die von größerer sozialer und politischer Relevanz sind als Prousts Betten. Die "Klimakatastrophe" ist schon angesprochen worden, die "Zerstörung unseres Lebensraumes", der "Zustand der Gesellschaft" am Beispiel des Umgangs mit Menschen in Pflegeeinrichtungen ...

Ich hatte an anderer Stelle schon auf das kürzlich erschienene Buch Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten von Markus Gabriel hingewiesen, das sich als Hintergrundtext und Bestandsaufnahme der Gründe für die "Zerstörung unseres Lebensraumes" und den aktuellen "Zustand der Gesellschaft" hervorragend eignet. Für eine allgemeine Einführung in die Philosophie ist Nagels Was bedeutet das alles? empfohlen worden. Zur Diskussion solcher Themen und Bücher mangelt es im Forum nicht an geeigneten Stellen. (Ob die beiden erwähnten Werke dafür geeignet sind, ist noch mal eine andere Frage.)

Wir können aber auch die literaturwissenschaftlichen Aspekte des Heterotopiekonzeptes aus dem literaturwissenschaftlichen Bereich ausgliedern, d.h. ich würde dafür einen "anderen Ort" ;) suchen. Auch das geht selbstverständlich. -




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Jörn Budesheim
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Mo 24. Aug 2020, 09:40

Diesen Thread gibt es jetzt zweimal. Ich hoffe, das ist okay. Einmal hier > viewtopic.php?f=27&t=945 inklusive Smalltalk/Offtopic und natürlich hier ohne Smalltalk/Offtopic.




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