Re: Eine kurze Geschichte der unreinen Zeit
Verfasst: Di 11. Aug 2020, 17:53
In seinem Nachruf auf Aby Warburg schreibt Ernst Cassirer:
"Denn sein [Warburgs] Blick ruhte nicht in erster Linie auf den Werken der Kunst, sondern er fühlte und sah hinter den Werken die großen gestaltenden Energien. Und diese Energien waren ihm selbst nichts anderes als die ewigen Ausdrucksformen menschlichen Seins, menschlicher Leidenschaft und menschlichen Schicksals. So wurde alle bildende Gestaltung, wo immer sie sich regte, ihm lesbar als eine einzige Sprache, in deren Struktur er mehr und mehr einzudringen und deren Gesetze er sich zu enträtseln suchte. Wo andere bestimmte abgegrenzte Gestalten, wo sie in sich ruhende Formen gesehen hatten, da sah er bewegende Kräfte, da sah er das, was er die großen ˋPathosformeln´ nannte, die die Antike als einen bleibenden Besitz für die Menschheit geschaffen hat." (Ernst Cassirer; Gesammelte Werke, Bd. 17; S. 370) -
Die Lesbarkeit der Kunst
Bei Warburg ist gelegentlich von Schönheit der Kunst die Rede - gelegentlich. Die Einleitung zum Mnemosyne-Atlas beginnt mit dem Satz: "Bewußtes Distanzschaffen zwischen sich und der Außenwelt darf man wohl als Grundakt menschlicher Zivilisation bezeichnen; ..." - Dieser Satz könnte auch von Hans Blumenberg stammen. Bilder zu malen, Skulpturen zu erstellen, schafft Orientierung und Distanz gegenüber dem Dargestellten. Eine antike Naturgottheit wird auf Distanz gebracht, wenn man es nur mit dem Bild dieser Gottheit zu tun hat. Dadurch entsteht ein Denkraum. Die Energie, die Affekte, die Angst, die Neugier ... werden gleichsam gebändigt im Bild. Und aus dieser Bändigung, Bannung entsteht Kultur und Religion. Was bei Warburg "Nachleben" heißt umfaßt - eigentlich vornehmlich - den Mythos. Das Nachleben des Mythos in der Moderne wäre im Grunde nur eine andere Formel für die "Arbeit am Mythos" Blumenbergs. -
"Denn sein [Warburgs] Blick ruhte nicht in erster Linie auf den Werken der Kunst, sondern er fühlte und sah hinter den Werken die großen gestaltenden Energien. Und diese Energien waren ihm selbst nichts anderes als die ewigen Ausdrucksformen menschlichen Seins, menschlicher Leidenschaft und menschlichen Schicksals. So wurde alle bildende Gestaltung, wo immer sie sich regte, ihm lesbar als eine einzige Sprache, in deren Struktur er mehr und mehr einzudringen und deren Gesetze er sich zu enträtseln suchte. Wo andere bestimmte abgegrenzte Gestalten, wo sie in sich ruhende Formen gesehen hatten, da sah er bewegende Kräfte, da sah er das, was er die großen ˋPathosformeln´ nannte, die die Antike als einen bleibenden Besitz für die Menschheit geschaffen hat." (Ernst Cassirer; Gesammelte Werke, Bd. 17; S. 370) -
Die Lesbarkeit der Kunst
Bei Warburg ist gelegentlich von Schönheit der Kunst die Rede - gelegentlich. Die Einleitung zum Mnemosyne-Atlas beginnt mit dem Satz: "Bewußtes Distanzschaffen zwischen sich und der Außenwelt darf man wohl als Grundakt menschlicher Zivilisation bezeichnen; ..." - Dieser Satz könnte auch von Hans Blumenberg stammen. Bilder zu malen, Skulpturen zu erstellen, schafft Orientierung und Distanz gegenüber dem Dargestellten. Eine antike Naturgottheit wird auf Distanz gebracht, wenn man es nur mit dem Bild dieser Gottheit zu tun hat. Dadurch entsteht ein Denkraum. Die Energie, die Affekte, die Angst, die Neugier ... werden gleichsam gebändigt im Bild. Und aus dieser Bändigung, Bannung entsteht Kultur und Religion. Was bei Warburg "Nachleben" heißt umfaßt - eigentlich vornehmlich - den Mythos. Das Nachleben des Mythos in der Moderne wäre im Grunde nur eine andere Formel für die "Arbeit am Mythos" Blumenbergs. -