Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Mo 31. Aug 2020, 07:39
Das heißt, die Ansicht, ein Bild bräuchte einen Künstler, ziehst du wieder ein?
Nein. Ein Gemälde ist etwas Gemaltes und es braucht für das Tun des Malens einen Maler. Ich meinte das, und meine es noch, als ich sagte, dass ein Werk ohne Werkenden nicht enstehen kann. Ich meine aber, dass der Urheber eines Werks nicht zwingend Notiz zu nehmen braucht von dem, was er da erschafft, damit das Erschaffene vorkommen kann. Ich glaube aber auch, dass etwas ganz zufällig Entstandenes Kunst sein kann, wo ein willentlicher Agens nicht eindeutig festzustellen ist.
Dass Bilder, Kunstobjekte im allgemeinen, dazu da sind, rezipiert zu werden, kann ich unterschreiben. Dass sie nur existieren in der Rezeption, das kann ich nicht unterzeichnen. Ich sehe aber wohl, dass gewisse Eigenschaften von Bildern nur existieren, wenn wir sie betrachten: Das Schönsein nannte ich, oder das Furchterregende, das Frustrierende und das Faszinierende usw. Ohne einen Betrachter ergeben diese Eigenschaften keinen Sinn, sie kommen nur vor in der Phänomenologie des Objekts.
Ein Kunstobjekt kann ein Kunstobjekt sein, etwa ein nie von jemandem beachtetes Bild auf dem Dachboden, aber es entfaltet seine vollere Wirklichkeit nur in seinem Sein für
uns.
Die Frage, die mich umtreibt, und die ich mit der Lektüre von Foucault ("Die Verklärung des Gewöhnlichen") zu beantworten versuche, ist eigentlich die nach den Umständen für "Kunsthaftigkeit".
Was unterscheidet ein gewöhnliches Objekt von einem Kunstobjekt?
Ich verstehe z.B., dass ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs, also ein Gebrauchsgegenstand, in ein völlig ungewöhnliches Umfeld platziert, Irritation auslösen kann. Der Gegenstand wird in ein "Arrangement" gesetzt, es entfaltet hier eine ganz andere Wirkung, als wenn es
dort nicht wäre, es wechselwirkt mit
der Umgebung. Duchamps Pissoir fällt in
diese Kategorie, aber es können indefinit viele Kompositionen eine Kunsthaftigkeit erzeugen, wenn sie in ein ästhetisch relevantes Feld gerückt werden.
Wir können nicht sagen, dass die Intention des Künstlers ausreicht, etwas Aussergewöhnliches, Ungewöhnliches zu schaffen, damit etwas Kunst ist, weil noch etwas hinzukommen muss, das dieses Etwas einbindet und austattet mit neuer Strahlkraft: ein "Setting", ein Arrangement, ein Feld, ein Umfeld, eine Konstellation von Objekten etc.
Es reicht aber auch nicht hin zu sagen, dass ein von einem Künstler erzeugtes Objekt dadurch Kunstobjekt ist, weil es durch ihn erschaffen wurde, denn dann wäre ja alles aus seiner Hand Enstandene Kunst. Vielmehr muss alles zusammenspielen können: Die Absicht zu erschaffen, die Absicht so und so anzuordnen, das und das zu sagen (oder auch nichts Bestimmtes zu sagen), die Verortung des Objekts vor Hinter- und Vordergründe, das Objekt selbst als Produkt des Erschaffens, der Zeitgeist, die Betrachter etc. - Alles das "umgibt" ein Kunstobjekt und hüllt das einfache Materieding in eine ästhetische Hülle. Durch all das erhält es sein Wesen als Kunstobjekt und hebt es von ganz gewöhnlichen Objekten ab.
Entscheidend ist meines Erachtens aber die Kunsterfahrung. Sie ist nach meinem Dafürhalten die Erfahrung des besonderen Objekts im Sinne einer Phänomenologie von (ästhetischen, politischen, philosophischen etc.) Bedeutungen. Das, was wir da in Vernissagehallen sehen, das sind nicht einfach "tote" Objekte, die für sich selbst sprechen, sondern sie sprechen auch an, sie sprechen etwas oder uns an, aber sie lassen uns nicht "kalt". Sie "erregen" Aufmerksamkeit und deshalb sind lebendige Objekte, weil vieles an ihnen erst vollends wirklich werden kann in der
Erregung des Auges (der Gefühle, des Tastsinns) des Betrachters. Nicht gemeint ist, dass die Schönheit, die Schrecklichkeit etc. im Auge des Betrachters liegt, sondern dass Schrecklichkeit, Schönheit etc. ohne die Dimension des Betrachtetwerdens von etwas nie wirklich werden kann. Am Objekt ist etwas schön oder schrecklich, aber am
Objekt für jemanden und nur für jemanden und darum ist dieser Teil ihrer Wirklichkeit Teil der lebendigen Wirklichkeit, die wir sind.
Darum aber, weil die Wirklichkeit des Schönseins in der phänomenologischen Schicht des Seienden vorkommt, in welcher
der Betrachter Teil des Phänomens ist, kann etwas sowohl schön als nicht schön sein zugleich, denn es kommt ja das Schönsein dem Objekt ja nur insofern zu, als es Phänomen ist. Als Phänomen sind wir Teil des Arrangements, in welches das Kunstobjekt gesetzt wird und wir sind Teil der sich durch ihn entfaltenden Wirkungen. Wir betrachten sozusagen nie dasselbe Objekt resp. haben wir nicht denselben Zugang zum Phänomen, weil wir je Teil des Phänomens sind. Wie ein Lichteinfall, wie die Platzierung des Objekts an bestimmter Stelle im Ausstellungsraum, wie der zeitgenössische Kontext, wie der alktuelle mediale Zusammenhang Wirkung auf das Objekt haben, haben auch wir als Betrachter Anteil an der Existenz seiner gewissen Wirkungen.
Es gibt bei der Kunst mit Betreff auf einige Eigenschaften des Kunstobjekts kein Entweder-oder, kein richtig oder falsch, sondern das Kunstwerk nötigt geradezu zur Freiheit, die auffordert, sich einzulassen und sich einzubringen. Das Kunstobjekt gibt nicht alles vor, was an ihm wirklich ist, sondern wir sind aufgefordert durch die sich an ihm verkörpernde Freiheit, Erfahrungen mit ihm zu machen und gewisse Pfade an ihm abzustecken. Das ist kein Plädoyer für Beliebigkeit, denn dazu sind die Kontexte zu sehr konstitutiv, als dass
wir über ein Objekt behaupten könnten, was wir wollten, aber doch verkörpern Kunstobjekte Offenheit in exemplarischer Weise, so dass in gewissen Aspekten seines Seins möglich ist zu sagen, dass sowohl x als auch nicht-x wahr ist. Das kann man mit logischen Mitteln gar nicht beschreiben, weil die Logik hier das Substanzielle, das Bedeutende, gar nicht fassen kann, und das Bedeutende ist eben die Tatsache des Miteinanderseins von ästhetischem Phänomen und Kunstbetrachter. Ein Kunstwerk kann ohne Betrachter Kunstwerk sein, das meine ich noch jetzt, aber es kann seine ästhetischen Potenziale ohne Betrachter nicht verwirklichen.